Frau Kurschus und das elfte Gebot

Die Zeitschrift Chrismon beeindruckt mich durch ihre Auflage: 1,5 Millionen Exemplare werden monatlich verteilt. Die Zeitschrift wird als Beilage z.B. der Süddeutschen Zeitung oder der Zeit verbreitet. Einen Umstand, den man sich vielleicht nicht bewusst macht: die käuflichen Host-Zeitschriften, in denen das kostenlose Kirchenblatt gleichsam als trojanisches Pferd unabwählbar mitgeschickt wird, bringen es nur auf 0,5 Millionen (SZ), oder knapp 0,4 Millionen (Zeit) Exemplare. An die Götter Auto (ADAC Motorwelt, 13,7 Millionen Exemplare) oder Fernsehen (Prisma, 4 Millionen) kommt das evangelische Blatt zwar nicht heran, aber das mag sich je nach Lebensdauer der drei genannten Götter auch noch ändern.

Es gibt einen weiteren Umstand, der mich an Chrismon fasziniert. Und das ist der Sound der Zeitschrift. Als katholisch sozialisierter Atheist staune ich immer wieder über die Offenheit und Coolness dieser Protestanten. In dem Blatt kommen Alles und Alle vor: Ausländer und Asylaten, Sextouristen und Schwule, Banker und Behinderte. Alles wird offen und ehrlich diskutiert, der Transzendenzanteil im Blatt ist minimal. Gott ist nicht in erster Linie der Schöpfer, Richter, etc., sondern eher die Hintergrundfolie, auf der der ganze Zirkus abläuft.

Ein schönes Beispiel für den typischen Chrismon-Sound ist ein Betrag Annette Kurschus (Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Herausgeberin von chrismon) in der September-Ausgabe, der auch online verfügbar ist (http://chrismon.evangelisch.de/blog/auf-ein-wort/annette-kurschus-ueber-staatliche-zuschuesse-fuer-kirchliche-grossveranstaltungen-31455). Frau Kurschus mockiert sich darin über die von der GBS unterstütze Aktion ‚Das elfte Gebot – Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen‘ (http://www.11tes-gebot.de).

Und da ist er wieder, dieser wunderbare Chrismon-Sound. In Bezug auf eine Moses-Karikatur heißt es da: „Merkwürdig gestrig ist das Gesellschafts- und Kirchenbild, das dieser Installation zugrunde liegt. Hier die liberale und aufgeklärte – religionsbereinigte – Öffentlichkeit, dort der finstere Moralkoloss, mit Zeigefinger und Jesuslatschen, biestig und geizig, antiquiert und autoritär.“ Und, weil es so schön ist, zitiere ich mal einen längeren Abschnitt:

Zitat:

„Genau das ist übrigens der Geburtsimpuls und Lebensnerv der evangelischen Kirchentage. Gegründet als urdemokratische, unabhängige Initiative nach dem großen Versagen von Glaube und Kirchenoffiziellen im Dritten Reich, wollten und wollen sie Kirche und Welt zusammen und in Spannung halten, kritisch und selbstkritisch. Genau das ist immer wieder gelungen: In den 50er Jahren, als auf einem Kirchentag die Diskussion darüber eröffnet wurde, was dann in den Ostverträgen zur Aussöhnung und zum Frieden mit Deutschlands östlichen Nachbarn führte; in den 70ern und 80ern, als die Bewahrung der Schöpfung als Glaubens- und Menschheitsaufgabe entdeckt wurde; zuletzt in Stuttgart, wo wir mit Ernst und Niveau und in großer Vielfalt über Gott und Gender, Bibel und Bioethik, Theologie und TTIP diskutierten. Seltsam, dass ausgerechnet diese urdemokratische, plurale christliche Laienbewegung in kirchengeschichtliche Sippenhaft genommen werden soll. Und gar nicht seltsam, aber auch kaum zufällig, dass beinahe überall, wo Religion und Öffentlichkeit scheinbar strikt auseinandergehalten werden – etwa in Frankreich, in der Türkei und den USA –, die gesellschaftlichen und politischen Kosten durch die Decke gehen.”

Das hat es in sich.

Diese wohlgewählten Worte sind sicher von zahlreichen Chrismon-Editoren auf ihren Sound hin optimiert worden. Ihr Sinn spielte dabei offensichtlich eine untergeordnete Rolle.

Es ist zum Beispiel nicht sehr schlau, seinen Gegnern Gestrigkeit vorzuwerfen, um dann die Gegenwärtigkeit des eigenen Vereins mit einer langen historischen Litanei zu begründen

… die an ihrem Ausgangspunkt diesen antifaschistischen Impuls hat, der jede andere Partei ein klein wenig in die Nazi-Ecke rückt.

Bemerkenswert ist auch, dass die Bewahrung der sogenannten Schöpfung erst in den 70ern als Menschheitsaufgabe entdeckt wurde, also mit mehrtausendjähriger Verspätung nach dem Schöpfungsakt. Warum war das denn nicht schon mit der Übergabe klar? Und was war denn vorher die Aufgabe der Kirchen? Ausbeutung der Armen? Anbiederung an die Herrschenden? Prunkbauten auf Kosten der Volkes? Mission der Falsch- und Nichtgläubigen?

Spannend find ich auch diesen leider nicht weiter erklärten Punkt, den man so paraphrasieren könnte: „Je säkularer ein Land, desto höher die gesellschaftlichen und politischen Kosten.“ Frau Kurschus wünscht sich da ein noch weniger säkulares Deutschland. Woran orientiert sie sich? An Israel, Saudi-Arabien oder Pakistan? Sicher gute Beispiele, für Länder, bei denen, die (wie auch immer definierten) Kosten nicht durch die Decke gehen, also auf dem Teppich bleiben. Sie stößt damit auch – nolens volens – an den Ursprung der Religion: Selbst wenn es keinen Gott gäbe, bräuchte man diese (evangelische) Kirche, um das Volk irgendwie unter Kontrolle bzw. die Kosten niedrig zu halten. Ein sehr evangelisches Gefühl, wie mir scheint. Aber hat das nicht schon mal jemand noch eleganter formuliert?

Damit gibt sie, eine allerdings perverse, Begründung der Eingangsthese: „Staatliche Zuschüsse für kirchliche Großveranstaltungen? Warum denn nicht? Die ganze Gesellschaft hat etwas davon“

Leider gibt es sonst keine wirkliche Antwort auf die Frage, warum der Staat den Christen die Party und das folgenlose Rumlabern finanzieren sollte. Alliterationen können auch die Anderen.